Die Unterschiede der Abzinsung von Verbindlichkeiten im Handels- und Steuerrecht

Allgemeines

Verbindlichkeiten gehören bilanziell zu den sog. Schulden und sind im Gegensatz zu den Rückstellungen der Höhe und dem Grunde nach gewiss. Beispiele für Verbindlichkeiten sind Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen, Anleihen sowie Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten oder erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen. Die Voraussetzung für eine Verbindlichkeit ist eine betriebliche Veranlassung. Ist diese gegeben, dann sind die Schulden in der Bilanz anzusetzen, zu bewerten und analog dem in § 266 Abs. 3 HGB vorgegebenen Gliederungsschema auszuweisen.

Die Bewertung erfolgt handelsrechtlich nach § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB mit dem Erfüllungsbetrag, also dem Betrag, der zur Erfüllung der Verpflichtung aufgebracht werden muss, zu passivieren. Hier wird aufgrund dieser Bezeichnung deutlich, dass unter Einschränkung des Stichtagsprinzips auch künftige Preis- und Kostensteigerungen einzubeziehen sind.

Steuerlich wird die Verbindlichkeit gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 EStG i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG mit ihrem Nennwert oder dem höheren Teilwert (sofern eine dauerhafte Werterhöhung vorliegt) bewertet. Künftige Preis- und Kostensteigerungen dürfen hier nicht mit berücksichtigt werden.

1. Handelsrechtliches Abzinsungsverbot

Handelsrechtlich besteht grundsätzlich (bis auf wenige Ausnahmen, wie z.B. Barwertansatz bei einer Rentenverbindlichkeit) ein Abzinsungsverbot. Dies gilt aufgrund des Realisationsprinzips auch für unverzinsliche oder niedrig verzinsliche Verbindlichkeiten, weil eine Abzinsung eine Vorwegnahme von noch nicht realisierten Erträgen bedeuten würde.

2. Steuerliches Abzinsungsgebot

Grundsätzlich sind die Ansätze der Handelsbilanz für die Steuerbilanz maßgeblich, vgl. § 5 Abs. 1 S. 1 1 HS. EStG. Daher sind Schulden im Steuerrecht wie im Handelsrecht auszuweisen. Jedoch erfolgen in § 6 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 5 Abs. 1 S. 1 2. HS EStG besondere steuerliche Vorschriften, die bei Verbindlichkeiten eine Abzinsung von 5,5 % vorschreiben. Nicht abgezinst werden jedoch folgende Verbindlichkeiten:

  • Verbindlichkeiten aus Anzahlungen und Vorausleistungen

  • Verzinsliche Darlehen

  • Verbindlichkeiten mit einer Laufzeit kleiner 1 Jahr

Demnach sind auch Verbindlichkeiten mit einer unbestimmten Laufzeit mit 5,5 % abzuzinsen. Um eine solche Konstellation zu vermeiden, kann beispielsweise ein geringer Zinssatz für die Verbindlichkeit vereinbart werden. So wird die Verbindlichkeit als verzinsliches Darlehen klassifiziert und ist dadurch von der Abzinsung ausgeschlossen.

Muss eine Verbindlichkeit nach den steuerlichen Regelungen abgezinst werden, ist in der steuerlichen Gewinnermittlung der fertig abgezinste Betrag auszuweisen.

Es existieren zwei mögliche Verfahren zur Berechnung der Abzinsungsätze (gewähltes Verfahren ist auf alle Verbindlichkeiten während der Laufzeit anzuwenden):

  • Finanz- oder versicherungsmathematische Grundsätze: unter Berücksichtigung eines Zinssatzes von 5,5% nach § 6 Abs. 3 S. 1 EStG

  • Aus Vereinfachungsgründen: Ermittlung durch einen Faktor nach §§ 12 bis 14 BewG

 

Beispiel: Abzinsung einer zinslosen Verbindlichkeit mittels Faktor nach §§ 12 bis 14 BewG

Ein Unternehmer hat seit dem 1. Januar 2014 eine unverzinsliche Verbindlichkeit in Höhe von 40.000 EUR. Die Rückzahlung wird am 5. Mai 2016 fällig. Die Laufzeit der Schuld beträgt somit am 31. Dezember 2014 noch 1 Jahr, 4 Monate und 5 Tage. Unter Anwendung der Tabelle 2 zu § 12 Abs. 3 BewG wird der Abzinsungsfaktor wie folgt ermittelt:

Vervielfältiger für 2 Jahre = 0,898

Vervielfältiger für 1 Jahr = 0,948

Differenz = 0,050

davon 5/12 von 0,050 + 5/360 von 0,050 = 0,021

Der anzuwendende Vervielfältiger beträgt (0,948 – 0,021) = 0,927

Das Unternehmen muss eine Verbindlichkeit zum 31. Dezember 2014 mit einem abgezinsten Wert von
40.000 EUR*0,927= 37.080 EUR ausweisen. Die Differenz ist als Ertrag in Höhe von 2.920 EUR zu erfassen.

Im Folgejahr ist zum 31. Dezember 2015 das Darlehen mit seinem Nominalwert von 40.000 EUR auszuweisen, da die Laufzeit weniger als ein Jahr beträgt. Die Differenz von 2.920 EUR ist im Aufwand zu erfassen.

Das obenstehende Beispiel verdeutlicht somit die Auswirkungen der Abzinsung von Verbindlichkeiten: Es erfolgt eine Verschiebung des Abzinsungsertrags im ersten Jahr zu einem Abzinsungsaufwand im Folgejahr. Ergebnistechnisch ist die Abzinsung über die beiden Jahre daher neutral. Sie stellt sich jedoch in den jeweils einzelnen Jahren für sich betrachtet, nach denen eine steuerliche Veranlagung erfolgt, unterschiedlich dar und wirkt sich somit auch unterschiedlich auf das einzelne Jahresergebnis und die jeweiligen Steuerbemessungsgrundlagen aus.

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