Sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Gesellschafter-Geschäftsführern – Vertrauensschutz

In den letzten Jahren hat das Bundessozialgericht (BSG) einen grundlegenden Wandel in Bezug auf die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Gesellschafter-Geschäftsführern durchlaufen. Die frühere Rechtsprechung, die unter den Stichpunkten „Kopf-und-Seele-Rechtsprechung“ bzw. „Grundsätze der Familiengesellschaft“ bekannt war, ist überholt.

 

Bis ins Jahr 2012 waren die damaligen Grundsätze anwendbar und bedeuteten, dass ein Geschäftsführer mit geringer bzw. gar keiner Beteiligung nicht zwingend abhängig beschäftigt sein musste. Vielmehr wurden neben den satzungsrechtlichen Regelungen auch Aspekte wie Branchenwissen, tatsächliche Bedeutung des Geschäftsführers für die Gesellschaft, gelebte Stimmrechtsausübung etc. berücksichtigt. Diese Rechtsprechung wurde oftmals im Rahmen von Familiengesellschaften und Nachfolgeregelungen genutzt, um Anteile bereits frühzeitig zu übertragen und dennoch die Sozialversicherungsfreiheit für den Geschäftsführer (oftmals das Familienoberhaupt) zu erhalten. Mit verschiedenen Urteilen in den Jahren 2012 – 2015 hat das BSG diese Ansätze verworfen. Ausschlaggebend ist seitdem ausschließlich die satzungsrechtliche Situation und die Verteilung der Stimmrechte.

 

Die Grundsätze der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung entspringen jedoch nicht gesetzlichen Regelungen sondern der Auslegung und Rechtsprechung der Sozialgerichte zur Gesetzeslage. Anders als Gesetzesänderungen kann sich eine geänderte Rechtsauffassung grundsätzlich auch auf noch nicht beurteilte offene Sachverhalte auswirken. Insbesondere im Rahmen der Sozialversicherung stützen die Prüfer der deutschen Rentenversicherung ihre Entscheidungen grundsätzlich auf die aktuelle Rechtsprechung.

 

Sicherheit bzgl. der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung bietet grundsätzlich nur ein durchgeführtes Statusfeststellungsverfahren. Unabhängig von der Rechtsprechung bietet ein abgeschlossenes Statusfeststellungsverfahren Rechtssicherheit basierend auf der Rechtsauffassung zum Zeitpunkt der Antragstellung bzw. der Antragsprüfung. Eine geänderte Rechtsprechung führt nicht dazu, dass eine einmal getroffene Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung seine Gültigkeit verliert.

 

Ohne Statusfeststellungsverfahren und entsprechenden Bescheid der Deutschen Rentenversicherung fehlt diese Rechtssicherheit. Ein entsprechender Sachverhalt ist nach jeweils aktueller Auslegung zu beurteilen.

 

Im Ergebnis kann ein Prüfer der Deutschen Rentenversicherung im Rahmen einer aktuellen Sozialversicherungsprüfung den Status eines Geschäftsführers, der zwar „Kopf und Seele“ des Unternehmens ist aber keine oder nur wenige Anteile hält, nach neuer Rechtsprechung beurteilen und rückwirkend als sozialversicherungspflichtig einordnen.

 

In diesem Zusammenhang hat das BSG in einem Beschluss erstmals deutliche Aussagen zum Vertrauensschutz im Hinblick auf Änderungen der Rechtsprechung getroffen. Darin bezieht sich das BSG explizit auf die geänderte Rechtsprechung der Jahre 2012 - 2015 in Bezug auf die familiäre Rücksichtnahme und die „Kopf-und-Seele“ Beurteilung.

 

Aus Gründen des Vertrauensschutzes bestätigt das BSG damit, dass die zum Nachteil eines Arbeitgebers geänderte höchstrichterliche Rechtsprechung grundsätzlich nicht rückwirkend zu dessen Lasten anzuwenden ist, wenn dieser aufgrund der „neuen“ Rechtsprechung nunmehr Beiträge auf bestimmte Arbeitnehmerbezüge abzuführen hat, die noch nach der zuvor maßgebenden Rechtsprechung beitragsfrei waren. Ein Ende des Vertrauensschutzes des Arbeitgebers tritt jedoch ein, wenn er von der Einzugsstelle über die geänderte Rechtsprechung explizit unterrichtet wurde oder bereits schon vor der Unterrichtung die geänderte Rechtsprechung und ihre Folgen für seine Beitragspflicht kannte oder wenn er nach den Umständen des Falls Anlass hatte, insoweit bestehende Zweifel von sich aus zu klären.

 

Beispiel

 

Sachverhalt 4 Gesellschafter (Eltern + 2 Söhne) sind jeweils mit 25 % seit 1998 an der GmbH beteiligt. Beide Söhne sind Geschäftsführer (einzelvertretungsbefugt und von § 181 BGB befreit). Beschlussfassungen erfolgen mit einfacher Mehrheit. Die Eltern üben ihre Stimmrechte nicht bzw. im Sinne der Söhne aus. Es wurde keine Statusfeststellung durchgeführt.

 

Die beiden Geschäftsführer wurden seit 1998 in Übereinstimmung mit der damaligen Rechtsprechung sozialversicherungsfrei eingestuft und entsprechend abgerechnet. In drei Betriebsprüfungen durch die Sozialversicherungsträger erfolgte keine Beanstandung.

 

In einer erneuten Sozialversicherungsprüfung war die Prüfung und Beurteilung von Minderheitengesellschaftern auch aufgrund der im Jahr 2012 geänderten Rechtsprechung zu einem Schwerpunkt der Prüfung geworden. Der Sozialversicherungsprüfer beurteilt den Sachverhalt im Rahmen der Prüfung erneut. Da kein Bescheid über die Statusfeststellung vorliegt, erfolgt die Beurteilung basierend auf der geänderten Rechtsprechung. Im Ergebnis erfolgt eine Einordnung in ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis und eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für einen Zeitraum von 5 Jahren (01/2010-12/2014).

 

Durch Berufung auf den oben beschriebenen Vertrauensschutz kann zumindest bis zum Zeitpunkt des Urteils, das zur grundsätzlichen Änderung der Rechtsprechung geführt hat, eine Einordnung in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vermieden werden. Das bedeutet, dass im Beispielsfall die Nachforderung auf den Zeitraum 09/2012 – 12/2014 beschränkt und damit nahezu halbiert werden kann.

 

Der Beschluss des Bundessozialgerichts vom 28. Februar 2017 bietet den Betroffenen mittlerweile eine Grundlage ggü. der Deutschen Rentenversicherung bzw. deren Prüfern im Rahmen der Prüfung selbst oder im Anhörungsverfahren einen Vertrauensschutz zu begründen und durchzusetzen.

 

Dennoch bleibt es weiterhin empfehlenswert, derzeitige Gestaltungen und Sachverhalte basierend auf aktueller Auslegung der Rechtslage zu beurteilen und absichern zu lassen. Wie beschrieben kann dies nur über ein Statusfeststellungsverfahren und eine Prüfung durch die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung erfolgen. Nur so können aktuell bewertete und gestaltete Konstellationen auch in Zukunft weiterhin ihre Wirkung unabhängig von möglichen Änderungen in der Rechtsprechung behalten.

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