BFH erweitert Anwendungsbereich der erbschaftsteuerlichen Verschonungsregelungen

Bei Erbfällen und Schenkungen privilegiert der Gesetzgeber die Übertragung von Betriebsvermögen durch verschiedene Verschonungsmodelle, wobei in gewissen Konstellationen gar keine Erbschaft-/Schenkungsteuer anfällt (Regelverschonung, Optionsverschonung, Verschonungsbedarfsprüfung). Hierdurch will der Gesetzgeber Arbeitsplätze sichern und erhalten. Privatvermögen ist hingegen grundsätzlich nicht begünstigt und wird voll besteuert. Dadurch besteht ein gewisser Anreiz, Privatvermögen in Betriebsvermögen „umzuwandeln“, um damit eine Steuerverschonung zu erreichen. Beispielsweise wurden in der alten Rechtslage in einem ersten Schritt private Geldmittel einer GmbH zugeführt. Diese Cash-GmbH ohne eigene betriebliche Tätigkeit konnte daraufhin in einem zweiten Schritt ohne Erbschaft-/Schenkungsteuer übertragen werden. Anschließend wurden im dritten Schritt die Geldmittel der GmbH wieder auf die Privatebene der Gesellschafter zurückgeführt. Dieser Gestaltung schob der Gesetzgeber ab dem 1. Juli 2016 einen Riegel vor, nachdem das Bundesverfassungsgericht in 2014 die damalige Verschonung für Betriebsvermögen als verfassungswidrig einstufte und den Gesetzgeber zu einer Neuregelung aufforderte.

Zur Bekämpfung der Cash-GmbH ist seither ein mehrstufiger Test erforderlich. Vorab wird das grundsätzlich begünstigungsfähige Vermögen der GmbH unterteilt in begünstigtes Betriebsvermögen (insb. Maschinen und Vorräte) und nicht begünstigtes sog. Verwaltungsvermögen (insb. Geld und Geldäquivalente wie z. B. Lieferforderungen). Beträgt das Verwaltungsvermögen mehr als 90% des Unternehmenswerts gibt es keinerlei Verschonung für das begünstigte Betriebsvermögen, wobei keine Verrechnung von Finanzmitteln und Schulden erfolgt (sog. Einstiegstest). Bei einem positiven Einstiegstest werden anschließend Finanzmittel in Höhe von 15% des Unternehmenswerts verschont (Sockelbetrag), wobei hier eine Schuldenverrechnung erfolgt (sog. Finanzmitteltest). Somit werden Schulden beim Einstiegstest und Finanzmitteltest unterschiedlich behandelt. Im Übrigen sind Finanzmittel in Höhe von 10% des Unternehmenswerts unschädliches Verwaltungsvermögen (sog. Schmutzzuschlag). Die in einem Zeitraum von zwei Jahren zugeführte Finanzmittel werden stets voll besteuert (sog. junge Finanzmittel).

Der Einstiegstest ist insbesondere kritisch bei Handelsunternehmen, die typischerweise einen hohen Bestand an Lieferforderungen aus ihrer operativen Geschäftstätigkeit haben und bei denen das Vorratsvermögen üblicherweise fremdfinanziert ist, denn hier liegt im Saldo regelmäßig ein Schuldenüberhang vor. Durch den Einstiegstest – mit dem Verbot der Schuldenverrechnung – werden damit solche Unternehmen von sämtlichen Verschonungen bei der Erbschaft-/Schenkungsteuer ausgeschlossen („Fallbeilwirkung“), obwohl sie operativ tätig sind und eigene Arbeitnehmer beschäftigen. Dadurch wird die Steuerverschonung gerade denjenigen Unternehmen versagt, deren Förderung sie eigentlich dienen soll.

Ein Handelsunternehmen klagte gegen den Einstiegstest und gewann bei Finanzgericht und beim Bundesfinanzhof (BFH). Mit seinem Urteil vom 13. September 2023 Aktenzeichen II R 49/21 urteilte der BFH, dass aus systematischen und verfassungsrechtlichen Gründen – und entgegen dem Gesetzeswortlaut – auch beim Einstiegstest eine Schuldenverrechnung durchzuführen ist. Beim Einstiegstest mit Schuldenverrechnung lag die Verwaltungsvermögensquote des klagenden Handelsunternehmens unterhalb von 90%. So erfolgte die Schenkung schlussendlich mit steuerlicher Verschonung und ohne Schenkungsteuerbelastung, was das beklagte Finanzamt zuvor versagt hatte.

Der Streitfall betraf ein Handelsunternehmen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft. Die Entscheidung ist auch auf Personengesellschaften anwendbar, die gewerblich oder freiberuflich tätig sind. Fraglich ist jedoch, ob auch Produktions-, Dienstleistungs- und andere Unternehmen vom positiven BFH-Urteil profitieren können, denn der BFH geht in seiner Urteilsbegründung nur auf Handelsunternehmen ein.

KARRIERE
Scroll down Scroll down