Finale Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung

Im Januar 2023 ist die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, die sog. „Corporate Sustainability Reporting Directive“ (CSRD) in Kraft getreten. Seit dem 31. Juli liegen nun die Standards in der von der EU-Kommission finalisierten Version vor, nach denen die Unternehmen in einem separaten Teil des Lageberichts künftig über Nachhaltigkeitsthemen nach den Vorgaben der CSRD berichten müssen. Die neuen Berichtspflichten müssen kapitalmarktorientierte Unternehmen ab dem Geschäftsjahr 2024 umsetzen. Darüber hinaus betrifft diese Pflicht ab dem Geschäftsjahr 2025 auch alle großen Kapitalgesellschaften und alle Mutterunternehmen, die verpflichtet sind, einen Konzernabschluss und einen Konzernlagebericht aufzustellen. Im Folgenden geben wir einen Überblick über die finalen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung, die sog. „European Sustainability Reporting Standards“ (ESRS).

Aufbau

Die ESRS enthalten insgesamt 12 Standards, die sich neben den beiden allgemeinen Standards in drei themenbezogene Bereiche aufteilen. Diese betreffen die Themen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung („Environmental, Social [&] Governance“ kurz: ESG). Zu einem späteren Zeitpunkt sollen die ESRS um sektorspezifische Standards für bestimmte Branchen erweitert werden. Die vorhandenen Standards unterteilen sich wie folgt:

ESRS 1 Allgemeine Anforderungen
ESRS 2 Allgemeine Angaben
ESRS E1 Klimawandel
ESRS E2 Umweltverschmutzung
ESRS E3 Wasser- und Meeresressourcen
ESRS E4 Biologische Vielfalt und Ökosysteme
ESRS E5 Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft
ESRS S1 Eigene Belegschaft
ESRS S2 Arbeitskräfte in der Wertschöpfungskette
ESRS S3 Betroffene Gemeinschaften
ESRS S4 Verbraucher und Endnutzer
ESRS G1 Unternehmenspolitik

Entsprechend dieser Reihenfolge ist die Nachhaltigkeitserklärung im Lagebericht zu gliedern in

  1. Allgemeine Informationen,
  2. Umweltinformationen,
  3. Sozialinformationen und
  4. Governance-Informationen.

In die Umweltinformationen sind zudem die Angaben gemäß der EU-Taxonomie-Verordnung in einem gesonderten Abschnitt zu integrieren. Die konkreten Angabepflichten werden dabei aber nicht von den ESRS, sondern von Artikel 8 der Taxonomie-Verordnung geregelt.

Doppelte Wesentlichkeit

Nicht alle Themen aus den Bereichen Umwelt und Soziales werden für alle Unternehmen gleichermaßen relevant sein. Während der Entwurf der ESRS vom November 2022 die Standards E1 und S1 hinsichtlich aller Einzelangaben noch als verbindlich für alle Unternehmen festlegen wollte, stellen die nun finalen ESRS alle Angaben unter den Vorbehalt der Wesentlichkeit. Alle Unternehmen haben daher eine Wesentlichkeitsanalyse durchzuführen. Diese muss nach dem Prinzip der doppelten Wesentlichkeit durchgeführt werden, wonach zwei Perspektiven zu berücksichtigen sind, um die Themen zu identifizieren, die im Nachhaltigkeitsbericht behandelt werden müssen:

  • Finanzielle Wesentlichkeit:
    Welche wesentlichen Auswirkungen, Chancen und Risiken ergeben sich durch Nachhaltigkeitsaspekte auf die Geschäftstätigkeit, den Geschäftserfolg des Unternehmens? Informationen gelten dann als wesentlich, wenn vernünftigerweise davon auszugehen ist, dass sich eine Auslassung, Falschangabe oder Verschleierung der Information auf Entscheidungen der Hauptnutzer der Finanzberichterstattung auswirken kann, die diese auf der Grundlage der Nachhaltigkeitserklärung treffen. Die Wesentlichkeit von Risiken und Chancen wird unter Berücksichtigung der Eintrittswahrscheinlichkeit einerseits, und dem potenziellen Ausmaß der finanziellen Auswirkungen andererseits bewertet.

  • Wesentlichkeit der Auswirkungen:
    Welche wesentlichen tatsächlichen oder potenziellen, positiven oder negativen Auswirkungen der Geschäftstätigkeit des Unternehmens ergeben sich auf Menschen oder Umwelt innerhalb kurz-, mittel- oder langfristiger Zeithorizonte? Für die Bewertung der Wesentlichkeit der tatsächlichen Auswirkungen ist auf deren Schweregrad abzustellen, für die potenziellen Auswirkungen zusätzlich die Eintrittswahrscheinlichkeit. Die Beurteilung des Schweregrads hat dabei das Ausmaß, den Umfang und die Unabänderlichkeit der Auswirkungen zu berücksichtigen.

Im Rahmen der Wesentlichkeitsanalyse muss nicht nur auf die eigene Geschäftstätigkeit, sondern auf die gesamte Wertschöpfungskette des Unternehmens abgestellt werden. Somit sind alle relevanten Akteure der eigenen Beschaffungs- und Absatzmärkte einzubeziehen. Darüber hinaus muss die Wesentlichkeitsanalyse aus der Sicht aller relevanten Stakeholder durchgeführt werden. Die Sicht der Geschäftsleitung oder der Gesellschafter allein ist nicht ausreichend. Weitere zu berücksichtigende Stakeholder können beispielsweise Kreditgeber, Geschäftspartner, Arbeitnehmer oder die Kommune sein, in der das Unternehmen mit einem Produktionsstandort ansässig ist. Hierfür kann das Unternehmen direkt in die Kommunikation mit diesen treten oder auf bereits verfügbare Rückmeldungen der Stakeholder sowie auf einschlägige wissenschaftliche Studien und Analysen zurückgreifen.

Aufgrund der herausragenden Bedeutung des Themas Klimawandel muss das Unternehmen ggf. ausführlich darlegen, warum das Thema als nicht wesentlich eingestuft wurde und daher keine klimabezogenen Angaben (z. B. Energieverbrauch, Energiemix, Treibhausgasemissionen) berichtet werden. Im Fall des Ausschlusses von anderen Themen besteht ein Wahlrecht, d.h. das Unternehmen kann kurz die diesbezüglichen Schlussfolgerungen erläutern, muss aber nicht.

Erleichterungen und Übergangsvorschriften

Die EU-Kommission hat auf die Kritik, dass die ab dem Geschäftsjahr 2024 bzw. 2025 erforderliche Nachhaltigkeitserklärung aufgrund der Komplexität einen hohen Aufwand bei den betroffenen Unternehmen verursacht, insofern reagiert, als sie im Vergleich zu den Standardentwürfen die Erleichterungen und Übergangsvorschriften nochmals ausgeweitet hat. Zum einen stehen alle Angaben unter dem Vorbehalt der Wesentlichkeit. Zum anderen wurden einige Angabepflichten mit zeitlichen Übergangsvorschriften versehen.

Praktisch bedeutsam ist die Erleichterung für Unternehmen bzw. Konzerne mit nicht mehr als 750 Beschäftigten, wonach alle Angabepflichten des Standards S1 im ersten Jahr sowie alle Angabepflichten der restlichen Sozialstandards (S2 bis S4) in den ersten beiden Jahren vollständig entfallen können. Zudem dürfen diese Unternehmen und Konzerne auch die Angaben zu den Scope 3-Emissionen (also die Treibhausgasemissionen, die extern in der Wertschöpfungskette verursacht werden) und den Gesamtemissionen im ersten Jahr auslassen. Unabhängig von der Anzahl der Mitarbeiter können die Unternehmen bzw. Konzerne die finanziellen Auswirkungen von umweltbezogenen Risiken und Chancen in den ersten Jahren nur qualitativ beschreiben und die geforderte, zusätzliche Zahlenangabe erst später machen.

Trotz der Übergangsvorschriften erscheint es für alle betroffenen Unternehmen ratsam, sich mit den Berichtspflichten der jetzt finalisierten ESRS, die nun auch in deutscher Sprache vorliegen, frühzeitig zu beschäftigen und mit der Wesentlichkeitsanalyse zu beginnen. Denn erst die Wesentlichkeitsanalyse ermittelt diejenigen Themen, über die im Nachhaltigkeitsbericht zwingend zu berichten ist. Für die als wesentlich ermittelten Informationen müssen dann Prozesse im Unternehmen bzw. konzernweit implementiert werden, die eine verlässliche Datenermittlung gewährleisten. Aufgrund der Prüfungspflicht der Nachhaltigkeitserklärung wird dies ein Kernbestandteil der Prüfung sein.

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