Aktuelle BFH-Rechtsprechung zum neuen Reisekostenrecht
Mit der gesetzlichen Neuregelung des steuerlichen Reisekostenrechts ab dem Kalenderjahr 2014 sind eine Reihe von Änderungen, Klarstellungen und Vereinfachungen vom Gesetzgeber installiert worden. Neben den gesetzlichen Regelungen hat das Bundesministerium für Finanzen darüber hinaus in seinem Schreiben zur Reform des steuerlichen Reisekostenrechts vom 24.10.2014 durch eine Reihe von Beispielen weitere Klarstellungen vorgenommen.
Im Mittelpunkt des neuen Reisekostenrechts steht die Bestimmung und gesetzliche Definition der ersten Tätigkeitsstätte, die die bis dahin durch Rechtsprechung definierte regelmäßige Arbeitsstätte abgelöst hat. Bis 2013 war bei der Bestimmung der regelmäßigen Arbeitsstätte der Schwerpunkt der Tätigkeit ausschlaggebend. Seit 2014 ist die arbeits- bzw. dienstrechtliche Zuordnung durch den Arbeitgeber vorrangig. Erst bei Fehlen einer solchen Zuordnung erfolgt eine Prüfung anhand quantitativer Kriterien (wie der Anzahl der tatsächlichen Anwesenheitstage).
Die Bestimmung der ersten Tätigkeitsstätte ist deshalb von entscheidender Bedeutung, da nur dann die Regelungen des Reisekostenrechts (u.a. keine Anwendung der Entfernungspauschale, steuerfreie Erstattung der Kosten) zur Anwendung kommen, wenn die Arbeit an einem Ort ausgeführt wird, an dem keine erste Tätigkeitsstätte vorhanden ist.
In diesem Jahr hat sich nun erstmals der Bundesfinanzhof (BFH) in einer Reihe von Urteilen mit der Definition der ersten Tätigkeitsstätte auseinandergesetzt (Urteile vom 4. April 2019 VI R 27/17, vom 10. April 2019 VI R 6/17, vom 11. April 2019 VI R 36/16, VI R 40/16 VI R 12/17).
Ortsfeste betriebliche Einrichtung
Eine erste Tätigkeitsstätte kann nur an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers vorhanden sein. Gem. dem BFH handelt es sich auch dann um eine ortsfeste Einrichtung, wenn eine Vielzahl von Räumlichkeiten bzw. betrieblichen Einrichtungen in einem organisatorischen, technischen oder wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (z.B. Werkstätten und Werkshallen, Bürogebäuden und –etagen sowie Verkaufs- und andere Wirtschaftsbauten). Es können also auch großräumige Bereiche wie bspw. Werksanlagen, Betriebsgelände, Bahnhöfe und Flughäfen als eine einzige, erste Tätigkeitsstätte betrachtet werden.
Keine erste Tätigkeitsstätte kann dagegen mangels Ortsfestigkeit ein Flugzeug oder ein LKW sein. Ebenso wird ein häusliches Arbeitszimmer als erste Tätigkeitsstätte ausgeschlossen.
Zuordnung durch den Arbeitgeber
Entsprechend der seit 2014 greifenden Regelungen ist die dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung der ersten Tätigkeitsstätte durch den Arbeitgeber vorrangig. Die Bestimmung mittels quantitativer Kriterien ist lediglich ein Hilfsmittel, wenn keine Zuordnung erfolgt ist. Entgegen der Verwaltungsauffassung muss diese Zuordnung durch den Arbeitgeber nicht zwingend dokumentiert, also schriftlich im Arbeitsvertrag fixiert werden. Ausreichend ist auch jeder andere Nachweis einer entsprechenden Entscheidung. Dennoch empfiehlt sich zur Vermeidung von Diskussionen im Rahmen einer Betriebsprüfung eine schriftliche Dokumentation zu führen.
Eine erste Tätigkeitsstätte kann nur dort vorliegen, wo der Arbeitnehmer auch tatsächlich einer Tätigkeit nachkommt, d.h. eine reine organisatorische Zuordnung ist nicht ausreichend. Die Finanzverwaltung hat bisher die Meinung vertreten, dass es ausreichend ist, wenn der Arbeitnehmer an dieser betrieblichen Einrichtung zumindest Hilfs- und Nebentätigkeiten ausführt. Die Finanzverwaltung hat also die Vorschrift sehr weit ausgelegt und damit Arbeitgebern und Arbeitnehmern Gestaltungsspielräume eröffnet.
Der BFH schränkt diesen Gestaltungsspielraum ein. Nach Ansicht des BFH ist es erforderlich, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören. Rein administrative Aspekte der Tätigkeit (Einreichung von Stundenzetteln, Urlaubsanträge, Krankmeldungen) reichen danach nicht mehr aus, da diese nicht zu dem ausgeübten Berufsbild gehören.
Dauerhaftigkeit
Die Dauerhaftigkeit einer Zuordnung durch den Arbeitgeber ist in vorausschauender Betrachtungsweise vor Beginn bzw. bei Beginn der Tätigkeit zu beurteilen. Es muss also für Arbeitgeber und Arbeitnehmer von vornherein klar sein, dass die fragliche Tätigkeit entweder
- unbefristet,
- für die Dauer des (befristeten) Arbeitsverhältnisses oder
- über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus,
an der vom Arbeitgeber ortsfesten betrieblichen Einrichtung auszuüben ist. Konkrete Vereinbarungen, die einen örtlichen Wechsel betreffen (z. B. „nach 12 Monaten erfolgt ein Wechsel in die Niederlassung XY“), sind schädlich. Eine dauerhafte Zuordnung liegt bei solchen Vereinbarungen in der Regel nicht vor. Allgemein gehaltene Regelungen, dass beispielsweise der Arbeitgeber das Recht zum Wechsel des örtlichen Einsatzes des Mitarbeiters hat, sind in der Regel unproblematisch.
Diese vorausschauende Betrachtungsweise der Finanzverwaltung hat der BFH bestätigt. Im zu entscheidenden Fall war ein Arbeitnehmer in einem befristeten Arbeitsverhältnis beschäftigt und von Anfang an einer Niederlassung des Arbeitgebers ohne zeitliche Beschränkung zugeordnet. Nach den ersten 6 Monaten folgte eine Zuordnung zu einer anderen Niederlassung. Der BFH sah dabei in den ersten 6 Monaten eine dauerhafte Zuordnung und damit das Vorliegen einer ersten Tätigkeitsstätte als gegeben an, da hier die Intention der Zuordnung für die Dauer des Arbeitsverhältnisses vorlag. Ab dem Zeitpunkt des Wechsels konnte eine Zuordnung für die Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht mehr erfolgen, da in den ersten 6 Monate der Tätigkeit bereits eine andere Zuordnung erfolgt ist. Der Arbeitnehmer hatte also ab diesem Zeitpunkt keine erste Tätigkeitsstätte mehr und konnte entsprechend Reisekosten im Rahmen einer beruflich bedingten Auswärtstätigkeit als Werbungskosten geltend machen.
Zusammenfassung
Der BFH hat mit seinen Urteilen weitere Klarheit bei der Anwendung des Reisekostenrechts geschaffen. Auch wenn danach, noch weitere Fragen offen sind (z.B. welchen Umfang und Inhalt eine Tätigkeit haben muss, um für die Bestimmung der ersten Tätigkeitsstätte anerkannt zu werden) sollten diese Leitlinien in der Praxis beachtet werden. In jedem Fall ist eine im Vorfeld möglichst eindeutige Zuordnungsentscheidung zu empfehlen, um von Beginn an Klarheit darüber zu haben, unter welchen Voraussetzungen Reisekosten abzurechnen sind.