Bundesverfassungsgericht kippt 6%-Zins
Getreu dem Motto „was lange währt, wird endlich gut“ hat nun das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit am 18. August 2021 veröffentlichten Beschluss die Zinshöhe von jährlich 6% auf Steuernachforderungen und -erstattungen nach § 233a AO für verfassungswidrig erklärt. Das allgemeine Rechtsempfinden, die Zinshöhe von 6% entspricht schon längst nicht mehr der Realität der seit Jahren anhaltenden Niedrigzinsphase, wurde damit höchstrichterlich bestätigt. Von dem Beschluss werden allerdings Steuerpflichtige tatsächlich erst für Verzinsungszeiträume beginnend ab Januar 2019 profitieren können.
Der Zinslauf für Steuernachforderungen und -erstattungen nach § 233a AO beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist. Mit der Verzinsung nach der 15-monatigen Karenzzeit sollen Liquiditätsverschiebungen ausgeglichen werden; sie gilt sowohl für Steuernachforderungen als auch Steuererstattungen.
Das BVerfG hatte zu entscheiden, ob die Zinsen auf Steuernachforderungen bzw. -erstattungen eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung zwischen den Steuerpflichtigen, deren Steuern nach der Karenzzeit festgesetzt werden, und den Steuerpflichtigen, deren Steuern innerhalb der Karenzzeit festgesetzt werden, darstellt. Dabei stellte das BVerfG fest, dass eine Verzinsung in Höhe von jährlich 6% ab dem Jahr 2014 evident realitätsfern ist und damit als unverhältnismäßig zu bewerten ist. Die Regelung verstößt damit gegen den Gleichheitsgrundsatz und ist damit verfassungswidrig.
Dennoch wird für den Verzinsungszeitraum von 2014 bis 2018 die bisherige Vorschrift betreffend die Zinshöhe in Kraft bleiben; dies ist nach Ansicht des BVerfG insbesondere mit Blick auf die ansonsten bestehenden erheblichen haushaltswirtschaftlichen Unsicherheiten geboten. Die Verpflichtung einer Neuregelung legt das BVerfG dem Gesetzgeber damit erst ab dem Verzinsungszeitraum 2019 auf. Damit ist der Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31. Juli 2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen, die sich rückwirkend auf alle Verzinsungszeiträume nach dem 31. Dezember 2018 erstreckt.
Die Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe betrifft dabei sämtliche von § 233a AO erfassten Steuerarten. Damit werden von der Verfassungswidrigkeit sämtliche Zinsen auf Steuernachforderungen und -erstattungen betreffend Einkommen-, Körperschaft-, und Umsatzsteuer erfasst.
Da Gegenstand der veröffentlichten Entscheidung allein die Zinsen für Steuernachforderungen und -erstattungen gem. §§ 233a, 238 AO waren, hat das BVerfG keine Aussage getroffen, ob andere Verzinsungstatbestände nach der Abgabenordnung wie Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen ebenfalls im Hinblick auf die Zinshöhe verfassungswidrig sind. Ob der Gesetzgeber im Rahmen seiner Neuregelung auch diese Verzinsungstatbestände anpassen wird, bleibt abzuwarten.
Trotz der positiven Entscheidung des BVerfG können Steuerpflichtige bis zum Ergehen der Neuregelung nicht viel unternehmen, insbesondere können zum derzeitigen Zeitpunkt keine bereits gezahlten Nachzahlungszinsen zurückgefordert werden.
Bereits mit Schreiben vom 2. Mai 2019 hat das Bundesfinanzministerium aufgrund der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe angeordnet, dass Zinsfestsetzungen künftig mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen werden; eine Änderung der betroffenen Zinsfestsetzungen wird daher aufgrund des Vorläufigkeitsvermerks von Amts wegen erfolgen.
Gegen künftige Zinsfestsetzungen auf Steuernachforderungen empfehlen wir, bis zum Ergehen der Neuregelung Einspruch einzulegen und die Aussetzungen der Vollziehung betreffend der Nachzahlungszinsen zu beantragen. Sollten mit Ergehen der Neuregelung die Zinsfestsetzungen auf Steuererstattungen dahingehend geändert werden, dass ein Teil der ausbezahlten Erstattungszinsen von der Finanzverwaltung zurückgefordert wird, ist mit Verweis auf den Vertrauensschutz nach § 176 AO gegen die geänderte Zinsfestsetzung Einspruch einzulegen.
Über die weitere Entwicklung halten wir Sie selbstverständlich auf dem Laufenden.