Die Gefahr der Scheinselbständigkeit
Die Zahl der Scheinselbständigen steigt ständig. Längst ist die Zeit vorbei, in denen die Scheinselbständigkeit nur auf dem Bau zu finden war. Mittlerweile sind Scheinselbständige in vielen Branchen tätig. Grundsätzlich ist gegen den Einsatz von Fremdleistern nichts einzuwenden, wenn die Regelungen zur Abgrenzung zwischen Arbeitnehmern und Selbständigen eingehalten werden.
Die Sozial- und Finanzgerichte haben sich in der Vergangenheit wiederholt mit der Abgrenzung der Arbeitnehmertätigkeit von der selbständigen Tätigkeit sowohl im sozialversicherungs- als auch steuerrechtlichen Sinne befasst. Eine klare Linie fehlt insbesondere bei den Sozialgerichten leider bis heute. Hierdurch gibt es eine Vielzahl von Urteilen, in welche der jeweilige Einzelfall eingeordnet werden muss. Für Auftraggeber ist eine falsche Statusbestimmung daher teils mit erheblichen Risiken verbunden. Finden Jahre später Prüfungen der Finanzämter und Sozialversicherungsträger statt, sind oftmals hohe Nachzahlungen von Steuern und Sozialabgaben das Ergebnis.
Nachfolgend werden die Brennpunkte im Rahmen der Scheinselbständigkeit und Maßnahmen zur Risikominimierung dargestellt.
Sozialversicherung
Arbeitnehmer, die eine Beschäftigung gegen Entgelt ausüben, sind in allen Zweigen der Sozialversicherung versicherungspflichtig. Hingegen zählen selbständig Tätige in der Regel nicht zum Kreis der sozialversicherungspflichtigen Personen. Insoweit ist eine Abgrenzung zwischen Arbeitnehmertätigkeit und selbständiger Tätigkeit anhand bestimmter Kriterien vorzunehmen.
Die Arbeitnehmertätigkeit wird sozialversicherungsrechtlich als nichtselbständige Arbeit, insbesondere als Arbeitsverhältnis definiert. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist das typische Merkmal eines Arbeitsverhältnisses die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber. Selbständig ist hingegen derjenige, der unternehmerische Freiheiten besitzt, unternehmerische Chancen nutzt, ein unternehmerisches Risiko trägt und über eine eigene Betriebsstätte verfügt. In diesem Kontext sprechen vor allem die folgenden Kriterien für eine Scheinselbständigkeit:
- Höchstpersönliche Arbeitsverpflichtung (es werden keine eigenen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt)
- Weisungsgebundenheit und Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers (Direktionsrecht in Bezug auf Inhalt, Zeit, Ort und Durchführung des Vertragsverhältnisses)
- Tätigkeit auf Dauer im Wesentlichen für einen Auftraggeber (fünf Sechstel des Umsatzes)
- Ausüben der gleichen Tätigkeiten auch durch festangestellte Arbeitnehmer des Auftraggebers
- Vorangehende Arbeitnehmertätigkeit beim gleichen Auftraggeber
Ein unverzichtbares Hauptmerkmal für die Scheinselbständigkeit gibt es jedoch nicht. Ob eine Arbeitnehmertätigkeit oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt, richtet sich vielmehr nach dem Gesamtbild der Verhältnisse und hängt davon ab, welche der Merkmale überwiegen und wie das Vertragsverhältnis tatsächlich durchgeführt wird. Es geht also in erster Linie darum, dass ein Vertragsverhältnis mit einem Fremdleister auch als solches gelebt und nicht einem Arbeitnehmer der Hut der Selbständigkeit aufgesetzt wird.
Der Auftraggeber sollte daher proaktiv prüfen, ob ein Auftragnehmer bei ihm selbständig tätig oder abhängig beschäftigt ist. Kommt der Auftraggeber zu dem Schluss, dass der Auftragnehmer bei ihm selbständig tätig ist, muss er grundsätzlich nichts veranlassen. Der Auftraggeber geht damit jedoch das Risiko ein, dass im Rahmen einer Sozialversicherungsprüfung der Sachverhalt anders beurteilt wird. Die Versicherungspflicht beginnt, auch bei einer rückwirkenden Feststellung, mit Beginn der Beschäftigung. Dies führt zu teils erheblichen Beitragsnachforderungen in Verbindung mit der Festsetzung von Säumniszuschlägen. Die Beitragsnachforderungen betreffen nicht nur die Arbeitgeber - sondern auch die Arbeitnehmeranteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag. Die Beitragsnachforderungen sind grundsätzlich für die letzten 4 Jahre zulässig, bei vorsätzlicher Beitragsverkürzung sogar für die letzten 30 Jahre. Wird hingegen innerhalb eines Monats ab Beschäftigungsbeginn die optionale Statusfeststellung beantragt, beginnt die Versicherungspflicht, sobald das Ergebnis der Statusfeststellung bekannt gegeben wird. Allerdings gilt dies nur, wenn der Auftragnehmer dem späteren Versicherungsbeginn zustimmt und er zwischenzeitlich anderweitig kranken- und rentenversichert war. Der letzte Punkt ist in der Praxis leider in den seltensten Fällen erfüllt, weshalb es in der Regel zur Versicherungspflicht ab Tätigkeitsbeginn kommt.
Grundsätzlich ist das optionale Statusfeststellungsverfahren anzuraten, da dieses, insbesondere wenn keine Versicherungspflicht festgestellt wird, erhebliche Rechtssicherheit bietet. Die optionale Statusfeststellung kann sowohl vom Auftraggeber als auch vom Auftragnehmer beantragt werden. Sobald eine der beiden Parteien die Statusfeststellung beantragt, wird die andere Partei automatisch zum Verfahren hinzugezogen. Die Deutsche Rentenversicherung erhebt für das Statusfeststellungsverfahren keine Gebühren.
Lohnsteuer
Im Rahmen der Lohnsteuer ist zu unterscheiden, ob der Auftragnehmer Einkünfte aus Gewerbebetrieb bzw. selbständiger Tätigkeit oder aus nichtselbständiger Tätigkeit erzielt. Nur bei Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit besteht für den Auftraggeber die Verpflichtung, Lohnsteuer einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen.
Arbeitnehmer im steuerlichen Sinne ist, wer dem Auftraggeber seine Arbeitskraft schuldet. Dies ist der Fall, wenn der Auftragnehmer gegenüber dem Auftraggeber weisungsgebunden oder in den geschäftlichen Organismus des Auftraggebers eingegliedert ist. Selbständig im steuerlichen Sinne ist hingegen derjenige, der ausschließlich einen Arbeitserfolg schuldet (z.B. im Rahmen eines Werkvertrages) und ein Unternehmerrisiko trägt. Bei der Beurteilung, ob im Rahmen der Lohnsteuer eine Scheinselbständigkeit vorliegt, sind die Finanzbehörden nicht an die sozialversicherungsrechtliche Statusfeststellung gebunden. Wie auch im Sozialversicherungsrecht ist das Gesamtbild der Verhältnisse entscheidend. Nach Rechtsprechung der Finanzgerichte sprechen nachfolgende Kriterien im Rahmen des Gesamtbildes für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses:
- Feste Arbeitszeit
- Fester Arbeitsplatz
- Feste Bezüge
- Urlaubsanspruch
- Fortzahlung der Vergütung im Krankheitsfall
- Zurverfügungstellung von Arbeitsmitteln
Der Arbeitgeber haftet für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat. Grundsätzlich sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer Gesamtschuldner der Lohnsteuer. In der Regel wird jedoch der Arbeitgeber zur Zahlung herangezogen, wenn dieser den Lohnsteuerabzug vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht vorgenommen hat. Dies gilt auch dann, wenn der Auftragnehmer auf das gezahlte Honorar bereits Einkommensteuer gezahlt hat. Hierbei ist zu beachten, dass die Bemessungsgrundlage von Lohn- und Einkommensteuer voneinander abweichen. Zum Beispiel bleiben Betriebsausgaben des Auftragnehmers bei der Ermittlung der Lohnsteuer unberücksichtigt. Insoweit wird sich in Fällen der lohnsteuerlichen Scheinselbständigkeit immer eine Haftungsschuld des Auftraggebers ergeben. Die Lohnsteuer verjährt grundsätzlich nach 4 Jahren, bei leichtfertiger Steuerverkürzung beträgt die Verjährungsfrist 5 Jahre und bei Steuerhinterziehung 10 Jahre.
Schutz vor einer Lohnsteuerhaftung bietet eine Lohnsteueranrufungsauskunft beim Finanzamt. Antragsteller der Anrufungsauskunft können sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer sein. Für die Anrufungsauskunft erhebt das Finanzamt, im Gegensatz zur verbindlichen Auskunft, keine Gebühren. Erteilt das Finanzamt eine Anrufungsauskunft, ist das Finanzamt für das Lohnsteuerabzugsverfahren daran gebunden. Geht das Finanzamt von einer selbständigen oder gewerblichen Tätigkeit des Auftragnehmers aus, ist eine Haftung auf Grund nicht einbehaltener Lohnsteuer somit ausgeschlossen. Allerdings erstreckt sich die Lohnsteueranrufungsauskunft nicht auf die Einkommensteuerveranlagung des Auftragnehmers. Sofern das Finanzamt im Rahmen der Einkommensteuer eine andere Auffassung vertritt, darf es die Einkünfte des Auftragnehmers entsprechend umqualifizieren. Etwaige Mehrsteuern zahlt in diesem Fall jedoch allein der Auftragnehmer.
Umsatzsteuer
Die Selbständigkeit im Rahmen der Umsatzsteuer ist nach denselben Grundsätzen wie in der Einkommensteuer zu beurteilen. Steht demnach fest, dass ein Auftragnehmer im Rahmen der Lohnsteuer Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit erzielt, so ist er kein umsatzsteuerlicher Unternehmer.
Hat der Auftragnehmer in seinen Rechnungen Umsatzsteuer ausgewiesen, obwohl er Arbeitnehmer im steuerlichen Sinne ist, so handelt es sich um einen unberechtigten Steuerausweis. Der Auftragnehmer muss diese unberechtigt ausgewiesene Steuer trotzdem an das Finanzamt abführen. Diese Umsatzsteuer darf vom Auftraggeber jedoch nicht als Vorsteuer abgezogen werden. Bereits in Abzug gebrachte Vorsteuerbeträge müssen vom Auftraggeber an das Finanzamt zurückgezahlt werden.