Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von Aussetzungszinsen

Einspruch und Klage haben im Steuerrecht grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Eine mit Steuerbescheid festgesetzte Steuernachzahlung wird trotz laufendem Einspruchsverfahrens zunächst fällig.

Unter bestimmten Voraussetzungen – insbesondere, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen – kann hier aber durch sog. Aussetzung der Vollziehung (AdV) ein Zahlungsaufschub beim Finanzamt erwirkt werden. Diesem Zahlungsaufschub stehen allerdings Aussetzungszinsen gegenüber, wenn das eingelegte Rechtsmittel (Einspruch / Klage) endgültig erfolglos bleibt und eine tatsächliche Steuernachzahlung zu erfolgen hat. Für die Dauer des Zahlungsaufschubs sieht der Gesetzgeber Zinsen auf den ausgesetzten Betrag in Höhe von 0,5% pro Monat bzw. 6% p.a. vor, sog. Aussetzungszinsen.

Bereits am 8. Juli 2021 (1BvR 2237/14) hat das Bundesverfassungsgericht die ursprünglich geltenden Zinssätze von 6% p.a. für die Verzinsung von Steuernachzahlungen bzw. Steuererstattungen (sog. Vollverzinsung) ab dem 1. Januar 2014 für verfassungswidrig erklärt. Ausschlaggebender Grund für die verfassungsrechtliche Einordnung war die in diesem Zeitraum anhaltende strukturelle Niedrigzinsphase.

Der Gesetzgeber hat daraufhin rückwirkend ab dem 1. Januar 2019 den Zinssatz für die Vollverzinsung auf 1,8% p.a. gesenkt.

Das oben genannte Urteil und die Gesetzesänderung erstreckten sich allerdings nicht auf die Aussetzungszinsen und andere Teilverzinsungstatbestände.

Mit Urteil vom 8. Mai 2024 (VIII R9/23) erhebt der BFH nun erstmals Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des gesetzlichen Zinssatzes von 6% p.a. für Aussetzungszinsen im Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis zum 15. April 2021 (maßgeblicher Zeitraum, welcher dem Urteil zugrunde liegt).

Zweifel sieht der BFH u.a. aus folgenden Gründen:

  • Die Ungleichbehandlung zwischen Nachzahlungszinsen (1,8% p.a.) und Aussetzungszinsen (6% p.a.) ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt und daher verfassungswidrig.
  • Die nicht gerechtfertigte Höhe des Zinssatzes könnte Steuerpflichtige davon abhalten, entsprechende Rechtsmittel in Anspruch zu nehmen und damit ihren Zugang zu effektivem Rechtsschutz beschränken.
  • Zweck der Einführung von AdV-Zinsen war es insbesondere, den Liquiditätsvorteil derjenigen Steuerpflichtigen abzuschöpfen, die AdV beantragen und gewährt bekommen. Ein solcher Liquiditätsvorteil ist aber während einer strukturellen Niedrigzinsphase nicht gegeben.

Fazit

Der BFH hält den gesetzlichen Zinssatz von 6% p.a. für Aussetzungszinsen zumindest während einer anhaltenden Niedrigzinsphase nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und ruft das BVerfG zu einer Entscheidung auf.

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