IMMER EINHUNDERT PROZENT

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Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes nach § 238 AO

Seit einigen Jahren besteht aufgrund der lang andauernden Niedrigzinsphase hoher Diskussionsbedarf über die seit nunmehr fast 60 Jahren gültige und bis heute unveränderte Zinshöhe von 0,5 % für jeden vollen Monat bzw. 6 % pro Jahr, die für alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis zugrunde gelegt wird. Im vergangenen Jahr haben erstmals zwei Senate des BFH schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Zinsen geäußert und die Aussetzung der Vollziehung der Zinsen gewährt (BFH v. 25. April 2018 – IX B 21/18 sowie BFH v. 3. September 2018 – VIII B 15/18).

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat mit einem Schreiben vom 14. Dezember 2018 erneut auf diese Rechtsprechung reagiert. Danach sind die BFH-Beschlüsse für Verzinsungszeiträume ab 1. April 2012 (nur) auf Antrag des Zinsschuldners in allen Fällen anzuwenden, in denen gegen eine vollziehbare Zinsfestsetzung, in der der Zinssatz nach § 238 AO zugrunde gelegt wird, Einspruch eingelegt wurde. Unerheblich ist dabei grundsätzlich, zu welcher Steuerart und für welchen Besteuerungszeitraum die Zinsen festgesetzt wurden. Das BMF-Schreiben gilt somit für alle belastenden Zinsfestsetzungen wie Nachzahlungszinsen (§ 233a AO), Stundungszinsen (§ 234 AO), Hinterziehungszinsen (§ 235 AO) und Aussetzungszinsen (§ 237 AO).

Für jeden Zinsbescheid mit einer Laufzeit ab dem 1. April 2012 wird somit auf Antrag Aussetzung der Vollziehung (AdV) wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit für die Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens gewährt. Empfehlenswert ist es zudem, im Rahmen des Einspruchs Bezug auf die beim BVerfG anhängigen Verfahren 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17 zu nehmen, um so beim Finanzamt das Ruhen des Einspruchsverfahrens zu erreichen. Es besteht hier auch nicht die Gefahr, dass für die Dauer der AdV Aussetzungszinsen festgesetzt werden, da steuerliche Nebenleistungen wie Zinsen nach § 233a AO selbst nicht der Verzinsung unterliegen.

Exkurs: Während bei Zinsbescheiden über Nachzahlungs-, Stundungs- und Aussetzungszinsen ein Einspruch verbunden mit einem Antrag auf AdV ratsam ist, sollte man gegen einen Bescheid über Hinterziehungszinsen lediglich zu einem Einspruch tendieren und von einem Antrag auf AdV Abstand nehmen. Denn nach einer vollendeten Steuerhinterziehung mit Erstattung einer Selbstanzeige kann Strafbefreiung nur dann erreicht werden, wenn die Hinterziehungszinsen nach § 235 AO (und die angerechneten Zinsen nach § 233a AO) fristgemäß entrichtet werden. Bei Bewilligung einer AdV des Bescheids über Hinterziehungszinsen kann es an der freiwilligen und vorbehaltlosen Entrichtung der festgesetzten Zinsen fehlen und somit das Risiko erhöhen, keine Strafbefreiung zu erlangen.

Für Verzinsungszeiträume vor dem 1. April 2012 ist gemäß BMF-Schreiben AdV durch das Finanzamt nur dann zu gewähren, wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte und im Einzelfall ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers zu bejahen ist.

Hinweis: Die obigen Ausführungen gelten nicht automatisch für die Gewerbesteuer. Die Gemeinden als diejenigen Behörden, die die Gewerbesteuer verwalten, sind nicht an die Vorgaben des BMF oder der BFH-Rechtsprechung gebunden. Zwar gibt es von Seiten des Deutschen Städtetags die Vorgabe die Zinsfestsetzungen für die Gewerbesteuer vorläufig vorzunehmen. Allerdings wird dies nicht von allen Gemeinden beachtet. Um die Rechtskraft entsprechender Bescheide bis zur Entscheidung des BVerfG zu verhindern, bleibt bei einer Ablehnung des Widerspruchs zur Zinsfestsetzung nur der Klageweg bei den Verwaltungsgerichten.

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