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Die Krise am Beschaffungsmarkt – Auswirkungen auf den Jahresabschluss 2021

Der Materialmangel in der deutschen Industrie und die Lieferschwierigkeiten im Einzelhandel sind bereits seit einigen Monaten ein wiederkehrendes Thema in der öffentlichen Berichterstattung. Nach der Pressemitteilung des Münchner ifo Instituts vom 29. November 2021 hat sich die Lage im November nochmals verschlechtert. Knapp drei Viertel der befragten Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe klagten über Engpässe und Probleme bei der Beschaffung von Vorprodukten und Rohstoffen. Mit am stärksten davon betroffen seien Bekleidungsproduzenten, Automobilindustrie und Maschinenbau. Viele Unternehmen sehen sich daher auch mit steigenden Einkaufspreisen konfrontiert.
Im Folgenden möchten wir aufzeigen, inwieweit sich diese Beschaffungsmarktkrise auf den Jahresabschluss 2021 von Produktionsunternehmen auswirken könnte.

Roh-, Hilfs -und Betriebsstoffe (RHBs)

Grundsätzlich gilt für Vermögensgegenstände (VG) der Grundsatz der Einzelbewertung für Handels -und Steuerbilanz. Abweichend hiervon bietet der Gesetzgeber die Möglichkeit zu Bewertungsvereinfachungsverfahren in Form von Verbrauchsfolgeverfahren (§ 256 HGB) sowie zur Gruppen -und Festwertbewertung (§ 241 HGB).
Häufig werden die RHBs bei Unternehmen des produzierenden Gewerbes unterjährig mit dem gleitenden Durchschnittswert (GLD) bewertet. Hierbei wird bei jedem Zugang ein neuer Durchschnittspreis für den Gesamtbestand ermittelt. Steigende Einkaufspreise führen somit zu einem Anstieg des GLDs und damit auch zu höheren Herstellungskosten in der Produktion, in der die RHBs ge- und verbraucht werden. Im Umfeld von steigenden Einkaufspreisen ist ein sog. Niederstwerttest zum Bilanzstichtag ggf. verzichtbar, weil die Wiederbeschaffungskosten nicht unter die Anschaffungskosten bzw. unter den GLD fallen.

Leerkosten vs. Herstellungskosten (HK)

Ein Krisenfaktor, welcher sich ebenfalls auf die Bewertung auswirkt, ist die durch fehlende Rohstoffe, Vorprodukte etc. entstehende Unterauslastung der vorhandenen Produktionskapazitäten. Besonders deutlich zeigt sich dies aktuell in der Automobilindustrie, die aufgrund des Chipmangels ihre Produktion von Fahrzeugen drosseln muss und ihre Produktionsmitarbeiter in Teilen sogar in Kurzarbeit schickt. Der Chipmangel hat auch Auswirkungen auf die Automobilzulieferer, bei denen die Automobilhersteller Bestellmengen reduzieren und Aufträge zeitlich nach hinten verschieben oder gar stornieren. Die Unterauslastung der Produktion ist in der Ermittlung der HK nicht zu berücksichtigen, da die damit zusammenhängenden Kosten nicht als angemessen im Sinne des § 255 Abs. 2 S. 2 HGB anzusehen sind. Folglich sind die Bestandteile Fertigungs- und Materialgemeinkosten sowie Abschreibungen von Anlagevermögen nur in der Höhe aktivierungsfähig, als sie anteilig bei einer Normalauslastung anfallen würden. Die bei Unterbeschäftigung anfallenden sog. Leerkosten müssen unmittelbar im Aufwand erfasst werden.

Verlustfreie Bewertung von fertigen und unfertigen Erzeugnissen

Im Zuge der Folgebewertung von VG des Umlaufvermögens ist im ersten Schritt das strenge Niederstwertprinzip zu beachten. Das bedeutet, dass gemäß § 253 Abs. 4 HGB auch bei nicht dauerhafter Wertminderung aufgrund niedrigerer Börsen- und Marktpreise oder eines niedrigeren beizulegenden Wertes zwingend eine Abschreibung vorgenommen werden muss. Ausfluss des strengen Niederstwertprinzips sowie des handelsrechtlichen Vorsichtsprinzips ist die sog. verlustfreie Bewertung von fertigen und unfertigen Erzeugnissen. Dies bedeutet, dass ggf. antizipierte Verluste bereits in der Bewertung zum Bilanzstichtag zu berücksichtigen sind. Der am Bilanzstichtag beizulegende Wert wird bei fertigen Erzeugnissen und Waren zum Zweck der verlustfreien Bewertung wie folgt ermittelt:

Erwarteter Verkaufserlös
./. Erlösschmälerungen (z.B. Skonti)
./. noch anfallende anteilige Kosten für:

  • Vertriebskosten (z.B. Frachten, Lizenzgebühren, Vermittlungsprovisionen)
  • Verwaltungskosten (z.B. Buchhaltung)
  • Fremdkapitalkosten

Die verlustfreie Bewertung unfertiger Erzeugnisse/Leistungen erfordert zusätzlich die Berücksichtigung der zukünftig notwendigen HK bis zum Ende der Fertigung bzw. bis zum Abschluss des Auftrags (bei Vorliegen eines Werkvertrags). Diese künftigen Kosten sind nach der Vollkostenmethode (d.h. Einzel- und anteilige Gemeinkosten) bei Normalbeschäftigung zu ermitteln. Die bereits mehrfach beschriebenen Probleme am Beschaffungsmarkt können zu erhöhtem Abwertungsbedarf führen, weil die steigenden HK u.U. nicht länger durch die vertraglich vereinbarten oder am Markt erzielbaren Verkaufspreisen gedeckt werden. Insbesondere bei langfristiger Fertigung drohen bedeutende Risiken. Hier kann schlimmstenfalls neben der Abwertung auf der Aktivseite der Bilanz handelsrechtlich zusätzlich eine Drohverlustrückstellung zu bilden sein. Dies ist dann der Fall, wenn bereits angefallene und künftig noch anfallende HK (und sonstige Kosten) nicht durch den Verkaufserlös gedeckt sind und die Abwertung der bisher angefallenen HK nicht ausreicht, um den erwarteten Verlust zu realisieren. Steuerrechtlich ist die Drohverlustrückstellung nicht zulässig; in der Steuerbilanz beschränkt sich der zu berücksichtigungsfähige Verlust zunächst auf die Höhe der bisher angefallenen Herstellungskosten.

Beispiel: verlustfreie Bewertung und Drohverlustrückstellung:

Das Unternehmen ABC Robotik GmbH ist ein Hersteller für Laserroboter. Aufgrund von Produktions- und Beschaffungsproblemen konnte der Roboter des Typs R2D2 zum Bilanzstichtag 31. Dezember 2021 noch nicht fertiggestellt werden. Zudem sind die tatsächlichen Gesamt-HK mit TEUR 90 deutlich höher als in der Kalkulation angenommen. Der Verkaufspreis beträgt lediglich TEUR 50. Die bereits angefallenen HK im Jahr 2021 betragen TEUR 60. Im neuen Jahr wird mit weiteren HK in Höhe von TEUR 30 und einem anteiligen Verwaltungskostensatz von 10 % (für noch anfallende anteilige Kosten) gerechnet. Wie hoch ist der Buchwert des Roboters zum 31. Dezember 2021?

Verkaufserlös:

50.000 €

HK 2021:

60.000 €

HK 2022:

30.000 €

Noch anfallende anteilige Kosten

10% von HK 2022

3.000 €

Antizipierter Verlust per 31.12.2021

50.000
./. 60.000
./. 30.000
./. 3.000 =

-43.000 €

Buchwert 31.12.2021:

60.000 - 43.000 =

17.000 €

Realisierter Verlust 2021

60.000 - 17.000 =

-43.000 €

 

Abwandlung:

Bis zum 31. Dezember 2021 sind erst TEUR 20 an HK angefallen. Die geschätzten Gesamt-HK bleiben bei TEUR 90. Ist zusätzlich zur Abwertung eine Drohverlustrückstellung erforderlich?

Verkaufserlös:

50.000 €

HK 2021:

20.000 €

HK 2022:

70.000 €

Noch anfallende anteilige Kosten

10% von HK 2022

7.000 €

Antizipierter Verlust per 31.12.2021

50.000
./. 20.000
./. 70.000
./. 7.000 =

-47.000 €

Buchwert 31.12.2021:

(Verlust übersteigt HK 2021)

0€

Drohverlustrückstellung zum 31.12.2021

47.000 – 20.000 = (noch zu realisierender Verlust)

27.000 €

Realisierter Verlust 2021

20.000 (HK 2021) zzgl.
27.000 (Drohverlust)

-47.000 €

Je geringer der Fertigstellungsgrad von unfertigen Erzeugnissen bzw. Aufträgen, desto eher kann es zu einer Drohverlustrückstellung kommen, weil die bislang angefallenen HK ggf. nicht ausreichen, um den antizipierten Gesamtverlust durch eine Abwertung im Umlaufvermögen zu realisieren.

Ausblick: steigende Preise

Die Engpässe auf den Beschaffungsmärkten bei gleichzeitig hoher Nachfrage führen zu steigenden Preisen. So hat die Inflationsrate in Deutschland zuletzt bereits die 5%-Marke erreicht. Viele Unternehmen planen ihre Verkaufspreise (weiter) zu erhöhen, so dass die Preiserhöhungen auf der Beschaffungsseite immer stärker auch die Endverbraucher treffen werden. Eine schnelle Entspannung der Situation scheint nicht in Sicht. Im Gegenteil: die erneute Verschärfung von Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus könnte die Lieferketten erneut empfindlich stören. Das wirtschaftliche Umfeld bleibt auch in den kommenden Monaten für viele Branchen überaus herausfordernd.

 

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